Gerechtigkeit enthält drei Aspekte:
- Wir identifizieren die relevanten Handlungen und Eigenschaften eines Menschen innerhalb des Rahmens der Realität
- Wir beurteilen diese Handlungen nach unserem Codex
- Wir behandeln die Menschen entsprechend unseres Urteils.
Wir geben den Menschen – mit Rücksicht auf den Kontext – was sie verdienen.
Unsere Beurteilung basiert auf Vernunft, nicht auf irrationalem Gefühl. Gefühle sind kein Maßstab für Richtigkeit.
Gute Menschen müssen gelobt, belohnt und gefördert werden.
Was ist Ungerechtigkeit?
Wenn einer dieser drei Punkte verletzt wird, wenn wir zum Beispiel ein Urteil fällen, das auf absichtlicher Unwissenheit und auf der Verdrehung relevanter Tatsachen beruht, dann ist das ungerecht.
Wenn eine Behörde ein Urteil fällt, das durch Bestechung o.ä. beeinflusst wird, dann ist das ein Beispiel von Ungerechtigkeit.
Deshalb ist das Symbol der Gerechtigkeit die Frau mit den verbundenen Augen. Sie ist blind gegenüber Angst und Bevorzugung. Sie urteilt ohne Ansehen der Person und nur nach Tatsachen der Realität.
Man kann z.B. die (schlechten) Charakterzüge eines Menschen identifizieren, aber es dann ablehnen, ihn zu beurteilen, zu richten. Das ist Ungerechtigkeit.
Die Gründe, warum wir ihn nicht beurteilen, sind gleichgültig. Es kann sein, dass wir feige sind, Angst haben, zynisch sind. Oder wir sagen: ‚Wer bin ich, dass ich urteilen kann?‘ – Das ist die Philosophie der Amoralität.
Aber auch, wenn wir ein willkürliches Urteil fällen, d.h. dass wir nach unseren Gefühlen urteilen, ohne Bezug zu einem rationalen Codex, dann ist das ein Prinzip der Verletzung der Tugend der Gerechtigkeit.
Die Tugend Gerechtigkeit ist ein Ausdruck unseres Prinzips der Rationalität.
Gerechtigkeit heißt, wir wenden Vernunft bei unseren Schlussfolgerungen über einen Menschen an.
Wir müssen den gleichen Denkprozess, den wir bei materiellen Dingen benutzen, auch bei Menschen anwenden – so wie ein Wissenschaftler die Materie studiert.
Wir müssen den gleichen Respekt vor Tatsachen haben und uns bemühen, die Charakterzüge zu identifizieren, d.h. wir müssen versuchen, Menschen zu erkennen, wie sie wirklich sind und dementsprechend handeln.
Gerechtigkeit ist ein anderer Aspekt des richtigen Verhältnisses zwischen unserem Bewusstsein und den Tatsachen der Existenz.
Was ist das Ergebnis von Gerechtigkeit?
Es ist die Förderung des rationalen positiven Eigennutzes der Menschen.
Tugendhafte, rationale Menschen sind von großem Wert für uns, weil sie die Denker sind, die uns viele materielle und spirituelle Werte anbieten.
Das Gegenteil sind die irrationalen Menschen, die uns nichts anzubieten haben und die eigentlich eine Bedrohung für unser Leben darstellen.
Gerechtigkeit ist das Mittel in der Macht des Individuums, die tugendhaften Menschen zu fördern. Wir identifizieren ihre materiellen und spirituellen Leistungen und handeln danach. Dadurch fördern wir Leben, Werte und Glück.
Ungerechtigkeit bedeutet, dass wir die irrationalen Menschen auf Kosten der rationalen Menschen fördern. Es heißt, dass wir die Guten angreifen oder es ablehnen, sie zu loben.
Diese Begründung von Gerechtigkeit gilt nur im rationalen Codex.
Wenn man z.B. pflichtbewusste und selbstaufopfernde Menschen lobt und positiv egoistische und positiv eigennützige Menschen veruteilt, dann fördert man das menschliche Leben und den Wohlstand nicht.
Diese zwei Codices harmonieren nicht miteinander. Sie sind wie Nord- und Südpol.
Im rationalen objektiven Codex müssen wir „richten“ und bereit sein „gerichtet zu werden“. Das ist hart. Der andere Codex ist bequemer. Aber „nicht richten“ heißt, jeder kann tun, was er will. Das ist ungerecht und somit härter.
Ein weiterer Punkt zur Beurteilung: Wir sprechen hier philosophisch und nicht psychologisch, d.h. wir machen moralische Urteile, aber keine psychologischen Diagnosen. Das sind zwei verschiedene Dinge.
Ein moralisches Urteil setzt voraus, dass wir den Menschen als ein bewusstes, selbstverantwortliches Wesen behandeln. Wir beurteilen nur das, was er tatsächlich gesagt und getan hat und nicht das, was er gemeint haben könnte. Wir beurteilen nicht sein Unterbewusstsein, da es nicht unter seiner Kontrolle ist. Das wäre unfair.
Wir beurteilen nur die Handlungen und Worte, die er bewusst ausspricht, die unter seiner Kontrolle liegen. Alles andere wäre Spekulation.
Kinder kann man nicht verurteilen. Sie sind nicht für ihre Handlungen verantwortlich.
Wir dürfen nicht sagen, dass die Handlungen eines Menschen weder moralisch noch unmoralisch sind.
Wir dürfen nicht sagen: ‚Ist nicht jeder Mensch grau? Es gibt weder schwarz noch weiß.‘ – Das ist falsch. Es gibt schwarz und weiß. Es gibt kein Grau. Grau ist eine Mischung aus Schwarz und Weiß. Durch Psychologisierung kommen wir zu Grau. Das ist die Gefahr. Man muss eine klare Linie ziehen zwischen Schwarz und Weiß.
Es gibt kein Grau in der Moralität.
Wenn ich sage, dass wir Menschen beurteilen müssen, heißt das nicht, dass wir auf die Straße gehen und unsere Meinung immer und überall äußern sollen.
Beurteilen heißt, dass wir unsere moralischen Urteile kennen.
Man muss nicht diskutieren und kämpfen, aber zumindest zeigen, dass man eine andere Meinung hat.
Unsere geläufige Meinung von Gerechtigkeit ist, dass wir die Bösen verurteilen, aber den Guten gegenüber gleichgültig bleiben. Woher kommt diese Auffassung?
Sie kommt von der Idee, dass das Böse potent und mächtig, das Gute unpraktisch, impotent und machtlos sei.
Nach unserer rationalen Metaphysik ist es aber umgekehrt. Das Übel ist machtlos, ist impotent. Und das Gute ist potent!
Deshalb ist es sehr wichtig, nach diesem Codex die Guten zu loben und zu belohnen.
Es ist wichtiger, die Guten zu belohnen, als die Bösen zu bestrafen.
Es ist richtig, die Menschen, die Recht haben, die rationale Werte darstellen, zu unterstützen.
Natürlich muss das Böse auch bekämpft werden, aber nach der Bekämpfung muss es beiseite gelegt werden. Wichtig im Leben ist die Potenz der Tugend und des Guten.
Die Guten sind die Menschen, die die Werte schaffen, Werte, derer das Leben bedarf.
Die Menschheit verlässt sich auf diese Leute. Sie sind die Menschen, deren Leistungen und Tugenden anerkannt werden sollten.
Es ist wichtig, David Hume zu sagen, dass er nicht Recht hat. Aber noch wichtiger ist es, Aristoteles zu sagen, dass er Recht hat.
Es ist wichtig, dass die Verbrecher nicht mit ihrem Verbrechen entkommen, noch wichtiger ist es jedoch, dass produktive Menschen gelobt werden, dass es Menschen gibt, die verstehen, was produktive Menschen leisten.
Das erste Ziel der Gerechtigkeit ist, die Guten/Produktiven anzuerkennen.
Zusammenfassend heißt Gerechtigkeit, dass wir die Menschen objektiv beurteilen und sie dementsprechend behandeln. Wir geben jedem, was er verdient hat.
Frage:
Was ist die Definition von „verdienen“?
Pedro de Souza:
Verdienen ist das, was jemandem nach dem Werturteil unseres objektiven Codex zusteht. Verdienen ist das Urteil, das wir über ihn abgeben.
Frage:
Wie wirkt das Prinzip von Gerechtigkeit bei Menschen, mit denen wir persönlich zu tun haben?
Pedro de Souza:
Für Gerechtigkeit gilt das Händler-Prinzip. Es besagt, dass wir mit anderen Menschen handeln, indem wir Wert gegen Wert tauschen zum gegenseitigen Vorteil.
Ein Händler ist jemand, der verdient, was er bekommt. Gerechtigkeit in diesem Kontext von persönlichen Beziehungen bedeutet, dass jeder Mensch ein Zweck in sich selbst ist und ein Recht hat auf die Werte, die er durch seine eigenen Leistungen und Gedanken geschaffen hat. Deshalb müssen Sie den einen Wert gegen einen anderen tauschen.
Gegen dieses Händler-Prinzip wird mit einer schönen Ausrede gekämpft. Wenn ich sage, jeder muss das bekommen, was er verdient hat, ist die nächste Frage: ‚Was hat er verdient?‘ ‚Ist Leistung individuell oder kollektiv?‘
Wenn Leistung kollektivistisch ist, hat keiner etwas durch eigene Anstrengung verdient. Heutzutage wird auch gerne gesagt: ‚Alleine hätte ich es nicht geschafft.‘
Diese Argumente kommen von der Metaphysik, die Sie über die menschliche Natur machen. Wenn Sie glauben, die Menschen seien ein Kollektiv, dann läuft es darauf hinaus, dass Sie individuelle Leistung ablehnen.
Aber der Mensch ist individuell, nicht kollektiv!
Altruisten nennen diese Tatsache soziale Gerechtigkeit, d.h. jemand, der bedürftig ist, hat ein moralisches Recht auf das Eigentum und die Werte von anderen.
Die hier beschriebene Philosophie von der Gerechtigkeit scheint grausam zu sein und die sozialistische Philosophie scheint voller Liebe.
Aber wir helfen auch – freiwillig! Das ist der Unterschied.
Freiwillige Hilfe ist voller Liebe. Erzwungene Hilfe ist gegen die individuellen Rechte des einzelnen Menschen.
In einem rationalen System gibt es zwar dann auch Bedürftige, aber viel, viel weniger. Es gibt immer genug gute Menschen, die Leid freiwillig beseitigen werden.
Es scheint – nach heutigem Zeitgeistdenken – grausam zu sein, es ist es aber nicht.
Es ist das menschlichste und göttlichste System von allen. Das jetzige System ist grausam. Im Namen von Liebe, Gleicheit und Brüderlichkeit werden Menschen kontrolliert und in Ketten geworfen.
Wenn wir ein System nach Bedürftigkeit installieren, heißt das, dass wir „Aasgeier abschießen“. Das hilft nicht.
Was ist die Ursache dafür, dass jemand bedürftig ist? Die Ursache ist das falsche System. Die Ursache ist der Kadaver. Man musss den Kadaver entfernen und nicht nur die Aasgeier abschießen. Dieses Ursache-Wirkung-Prinzip betrifft nicht nur die Ernährung, sondern auch die Politik und andere Wissensgebiete.
Frage:
Da wir nun ein falsches System haben können wir es nicht auf einmal durchbrechen, oder?
Pedro de Souza:
Wir müssen erst einmal wissen, was das richtige System ist. Das dauert einige Zeit, bis alle richtigen rationalen Gedanken integriert sind.
Als Thomas von Aquin seine Philosophie der Vernunft ans Licht gebracht hatte, dauerte es 100 Jahre bis die Renaissance begann.
(…)
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