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Ein Weltbildgefühl stellt die früheren Werturteile, Zusammenfassungen und Integrationen dar. Besonders in der Jugend ist das Weltbildgefühl formbar und veränderbar.
Im Idealfall lernt der Mensch, sich auf ein bewusst gewähltes Ziel hin selbst zu steuern und zu formen. Dazu ist es nötig, sich seiner unbewussten Gefühle bewusst zu werden und sie in Sprache umzusetzen und auszudrücken. Erst mit dem Wort – dem Begriff – hat man ein Ding in der Hand. Man kann es greifen (be-greifen) und handhaben.
Man kann nun eine wesentliche Aufgabe der Erziehung wie folgt formulieren:
Erziehung soll dem Kind helfen, den Übergang zu finden von der Führung durch das unbewusste Weltbildgefühl zur Führung durch eine bewusste Philosophie.
In der Erziehung muss man alles begründen was man fordert und anbietet. Falsche (unlogische) Schlussfolgerungen müssen korrigiert und bewusst in Worte gefasst werden. Was über die Natur der Welt empfunden wurde, muss bewusst mit Worten ausgedrückt werden. Das Gefühl ohne Worte muss in ein Wissen mit Worten umgewandelt werden.
Aber Philosophie ersetzt das Weltbildgefühl nicht. Sie gibt lediglich die Kriterien für die Klassifikation der Emotionen. Wenn die Philosophie rational ist, wird das Weltbildgefühl zu einem harmonischen, sich nicht widersprechenden Geist geformt werden.
Der junge Mensch hat zunächst ein implizites (aus Erlebnissen unbewusst gefolgertes) Weltbildgefühl.
Nach und nach leitet er alle seine Schlussfolgerungen von seiner bewussten Philosophie ab.
Sehr viele Menschen machen diesen Schritt nicht. Sie versuchen nicht, einen bewussten, widerspruchsfreien Standpunkt zu erreichen, weil das unbewusste Weltbildgefühl ihr einziger Führer ist.
Andere Menschen vollziehen den Schritt nicht richtig. Das führt zu Konflikten zwischen ihrem unbewussten Weltbildgefühl und bewussten Überzeugungen. Wenn die Widersprüche nicht geklärt werden, wenn nicht eine bewusste und schlüssige Philosophie angestrebt wird, dann ist der Mensch durch Argumente nicht zu überzeugen, dann ist das unbewusste Weltbildgefühl stärker.
Auch wenn man sich selbst gegen das eigene Weltbildgefühl zu überzeugen versucht, wird einem das nicht gelingen.
Manchmal sind die Ideen richtig und das Weltbildgefühl ist falsch, und machmal ist es umgekehrt. In beiden Fällen gibt es Widersprüche.
Um zu leben, müssen wir handeln. Um zu handeln, müssen wir wählen. Um zu wählen, müssen wir einen Codex/eine Philosophie haben. Für den Codex ist es wichtig zu wissen:
- Von welcher Art ist die menschliche Natur? und
- Von welcher Natur ist das Universum?
Deshalb brauchen wir Metaphysik, Epistemologie und Ethik.
Wenn uns die Philosophie nicht eine bewusste Weltanschauung gibt, so wird das unbewusste Weltbildgefühl die Führung übernehmen.
In dieser Situation befinden wir uns heute mehr und mehr, weil wir seit Jahrhunderten Opfer von Angriffen auf die Vernunft sind und nicht mehr wissen, welche Metaphysik richtig ist.
Wir sind den Widersprüchen unseres Weltbildgefühls ausgesetzt und werden immer mehr von Willkür und Chaos bedroht.
Ein Weltbildgefühl ist keine unveränderliche Sache.
Das Weltbildgefühl kann jedoch nicht durch einen Willensakt geändert werden, weil es ein emotionales Phänomen ist. Es kann nur über lange Zeit durch Änderung der Philosophie umgewandelt werden.
Ob das Weltbildgefühl rational oder nicht rational ist – immer hat es eine tief persönliche Eigenschaft.
Es reflektiert unsere tiefsten Werturteile.
Das Weltbildgefühl wird als die eigene Identität erfahren. Es ist schwer, das eigene Weltbildgefühl konzeptuell zu fassen, weil man es so schwer isolieren kann. Es nimmt Teil an jeder Eigenschaft der Person, an Gedanken, Handlungen, an Emotionen, an der Art zu reden, zu lachen – kurz, an jedem Aspekt der Persönlichkeit.
Das Weltbildgefühl ist eigentlich die Basis der Persönlichkeit. Wenn es um unser eigenes Weltbildgefühl geht, halten wir es für eine unreduzierbare, primäre Angelegenheit. Wir kommen nicht auf die Idee, es in Frage zu stellen.
Das Weltbildgefühl einer anderen Person erfahren wir als einen unpräzisierbaren Eindruck. Dieser Eindruck scheint gewiss zu sein, aber es ist sehr schwer, ihn zu formulieren. Deshalb hält man das Weltbildgefühl für ein Gebiet der Intuition.
Man glaubt, das Weltbildgefühl könne nur durch eine nicht rationale Einsicht gewonnen werden. In Wirklichkeit aber ist das Weltbild eine sehr komplexe Zusammenfassung, die man verstehen kann, wenn man sie analysiert und konzeptuell erfasst.
Der automatische Eindruck, den wir von anderen haben, kann irreführend sein. Das Gefühl muss in Worte übersetzt werden, damit wir den Eindruck, den wir haben, durch ein bewusstes Werturteil unterstützen können.
Dadurch erfahren wir Gewissheit, weil zum Gefühl der Geist und die Werte integriert werden.
Das Weltbildgefühl kann in Liebe ausgedrückt werden. Liebe ist eine Antwort auf Werte. Man ist in sein eigenes Weltbildgefühl verliebt. Man ist in die Verkörperung der eigenen Werte in einer anderen Person verliebt. Jeder Mensch verkörpert seine Werte, z.B. durch seine Gesten, seine Manieren, seine Bewegungen, seine Äußerungen und Handlungen.
Wenn man nun glaubt, das eigene Weltbildgefühl in einer anderen Person verkörpert zu finden, dann mag man sie, oder man verliebt sich sogar.
Der Auslöser zur Partnerwahl ist die angenommene oder tatsächliche Übereinstimmung im Weltbildgefühl . Es ist kein Ausdruck der bewussten Überzeugungen, sondern einer bewussten und unbewussten Harmonie.
Warum wählen wir den falschen Partner? Ein Weltbildgefühl ist kein zuverlässiger Maßstab, weil es Werte emotional beurteilt. Illusionen und Enttäuschungen sind möglich. Daher kommt der Ausdruck: „Liebe macht blind“, weil sie uns anscheinend unabhängig von Vernunft überfällt. Aber das stimmt nicht.
Liebe ist eigentlich ein Ausdruck unbewusster Philosophie. Kein anderer Aspekt unseres Lebens braucht so viel bewusste philosophische Formulierungen wie die Liebe und Gott.
Philosophie ist also eine große Macht. Wenn diese Macht ein emotionales Werturteil unterstützt (nämlich die Liebe), dann ist Liebe eine Integration von Vernunft und Gefühl. Diese Art von Liebe ist beständig und die größte Erfüllung in der materiellen Welt.
Liebe ist nicht blind. Dies aber nur, wenn sie von einer bewussten Philosophie unterstützt wird. Sonst übernimmt das unbewusste Weltbildgefühl das Steuer mit allen Irrationalitäten, die dann in Enttäuschungen enden.
Aber diese Enttäuschungen haben einen positiven Sinn: Sie befreien uns von unseren Täuschungen, von den Fehlern in unserem Weltbildgefühl, aber wiederum nur, wenn es von einer Philosophie begleitet wird, die sich bewusst darum bemüht, den Kosmos und die Lebensgesetze zu verstehen.
So ist die Liebe auf wunderbare Weise die größte, aber auch die unerbittlichste Lehrmeisterin des Lebens.
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