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Unser Weltbildgefühl drückt sich auch in Kunst aus.
Ein Kunstwerk kann man mögen oder nicht. Das hängt davon ab, ob es dem eigenen Weltbildgefühl entspricht oder nicht.
Es ist möglich, ein Kunstwerk zu bewundern, ohne es zu mögen (‚Anna Karenina‘ von Tolstoi hat schlechte Werte, ist aber sehr gut gemacht). Wenn die Mona Lisa einen Pickel im Gesicht hätte, wäre das ein Angriff auf die Schönheit. Man könnte auf Leonardo da Vinci wütend sein. Wenn man allerdings dasselbe Weltbild hätte wie der Maler, so würde man das Bild und die Aussage trefflich finden.
Die Bewertung eines Kunstwerkes geschieht emotional und ist viel schneller erfolgt als eine rationale Begründung. Das Weltbildgefühl entscheidet über diese schnelle emotionale Wertung.
Das Weltbild des Künstlers kontrolliert und bestimmt seine Werke. Es bestimmt seine Wahl bezüglich Thema und Stil.
Der Betrachter bewundert oder verdammt künstlerische Werke ebenfalls aufgrund seines eigenen Weltbildes.
Ist das eigene Weltbildgefühl ein gültiges Kriterium für die Beurteilung von Kunst?
Nein. Und zwar weder für das Können des Künstlers noch für die Sachkenntnis des Betrachters. Das Weltbildgefühl müsste erst bewusst gemacht werden, damit wir prüfen können, ob es objektive Kriterien zur Beurteilung von Kunst hat.
Aber das Weltbildgefühl ist die Quelle der Kunst. Aus ihm heraus wird Kunst geschaffen.
Welche Emotionen werden durch Kunst hervorgerufen?
Zunächst sind die Emotionen automatisch und sofort da, genau wie bei anderen Gefühlen. Aber es sind keine gewöhnlichen Gefühle. Vielmehr hat das Kunstwerk einen intensiven und tief persönlichen Wert und Bedeutung für den Betrachter.
Der Wert ist das Leben und die Emotion ist das, was das Leben MIR bedeutet.
Es spiegelt eine persönliche Erfahrung wider. Der Künstler drückt mit seinem Werk aus: So ist das Leben, wie ICH es sehe. Der Zuschauer sagt: Tatsächlich, so sehe ich das Leben auch oder … so sehe ich es nicht.
Wie kommuniziert ein Künstler mit dem Betrachter?
Der Künstler fängt mit einer breiten Abstraktion an. Er muss sie in konkreter Form darstellen. Der Zuschauer nimmt die konkreten Einzelheiten wahr, integriert sie und begreift die Abstraktion. Dadurch schließt sich der Kreis.
Ein Künstler wählt solche Aspekte der Realität, die er für metaphysisch wichtig hält. Er unterstreicht die wichtigen Aspekte und lässt die für ihn unwichtigen Aspekte aus. Dadurch zeigt er seine Weltanschauung. Seine Wahl bedeutet, dass er diese Aspekte schätzt und hoch bewertet. Sein Weltbildgefühl entscheidet darüber, was der Künstler für wichtig hält.
Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt die altgriechische Kunst. Sie zeigt die Idealtypen der Götterwelt. Die kranken und hässlichen Menschen, von denen es sicher genug gab, waren nicht so wichtig, dass man sie hätte darstellen wollen. Die Künstler drückten damit aus, dass für sie die Fehler der Menschen nicht das Wesentliche an der menschlichen Natur waren. Die griechischen Kunstwerke zeigen Stärke, Schönheit, Selbstwertgefühl und Intelligenz. Das sind die normalen und wesentlichen Eigenschaften des Menschen.
Kunst ist eine Auswahl und Neuschaffung, keine sklavische Abbildung wie die Fotografie. Wenn die moderne Kunst den Menschen als schwer beschädigt darstellt, so hält sie seine auch heute vorhandene Schönheit, Stärke und Intelligenz für nebensächlich und unwichtig.
Wenn die Mona Lisa einen Pickel im Gesicht hätte, so hätte dieser eine ungeheure metaphysische Bedeutung, weil er bewusst gewählt worden wäre. Er würde zeigen, was der Künstler am Menschen für wichtig hält.
Was würde Leonardo uns durch einen Pickel hätte sagen wollen? Eine Frau, die versucht, schön zu sein durch Kleidung und Schmuck, ist einer hoffnungslosen Illusion verfallen. Der Pickel macht ihre Anstrengungen zunichte. Eine solche Darstellung wäre eine Verspottung des Menschen. Es würde aussagen, dass alle Bestrebungen des Menschen nach Werten impotent sind. Sie können durch Kleinigkeiten zunichte gemacht werden.
Die Kunst beschäftigt sich nicht mit tatsächlichen Ereignissen, sondern mit ihren metaphysischen Bedeutungen.
Das kann man leicht nachvollziehen, z.B. wenn man einen Roman liest. Man identifiziert sich dann mit einer der Figuren, indem man eine Abstraktion macht. Man sieht etwas Gemeinsames zwischen der Figur und sich selbst. Man abstrahiert das metaphysische Problem und wendet es auf sein eigenes Leben an.
Was ist der Unterschied zwischen einem Roman und einem Tatsachenbericht? Der Tatsachenbericht ist nur vielleicht relevant für mein Leben. Der Roman dagegen ist eine höhere und breitere Abstraktion und kann für viele Menschen bedeutsam sein. Die Reaktionen auf Tatsachenberichte in der Zeitung können unpersönlich sein und man bleibt unberührt. Beim Roman dagegen erlebt man ein intensives Gefühl, obgleich die Geschichte erfunden ist. Das Gefühl kann positiv sein, wenn der Roman auf das eigene Leben passt, oder es kann negativ sein, wenn es mit dem eigenen Leben nichts zu tun hat.
Journalistische Auskünfte oder wissenschaftlichen Unterricht suchen wir nicht in einem Kunstwerk. Vielmehr wollen wir unser Bedürfnis erfüllen, die eigene Weltanschauung bestätigt zu finden.
Der Mensch ändert seine Umwelt, damit sie seinen Zielen dient. Dazu muss er zunächst werten, um dann die Werte zu schaffen. Sie müssen in einer konkreten Form dargestellt werden. Das braucht jeder rationale Mensch. Er braucht ein Abbild seiner Werte, ein Vorbild. Nach dem Vorbild wird er dann die Welt in seinem Schaffen verändern.
Kunst gibt ihm das Vorbild. Es sieht in konkreter Form sofort, was er verwirklichen will.
Warum braucht der Mensch die Darstellung des verwirklichten Ziels?
Wir haben unbegrenzt Wünsche, deren Verwirklichung wir ein Leben lang anstreben. Damit sind keine Traumtänzereien gemeint, sondern unsere rationalen Wünsche, die sich auf alles richten, was wir duch Anstrengung erreichen können.
Je höher die Ziele sind, die wir anstreben, umso härter und länger ist der Kampf dafür.
Zwischendurch aber brauchen wir Augenblicke, in denen wir das Gefühl haben können, dass wir das Ziel erreicht haben.
Dieses Gefühl vermittelt die Kunst.
Es ist ein Entspannungspunkt, eine Pause, die uns neuen Brennstoff gibt zum Weitermachen. Diese Pause gibt uns eine Idee davon, wie es sein könnte, wenn wir in der idealen Welt leben würden, in der unsere Ziele schon erreicht sind.
Warum ist diese Erfahrung wichtig?
Wir müssen das Gefühl, am Ziel zu sein, einmal erleben. Dies gibt uns Liebe für das Leben , woraus wir die Kraft schöpfen können, weiterzugehen.
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https://pedrodesouza.blog/2018/06/24/ist-unser-weltbildgefuehl-der-massstab-fuer-richtigkeit/
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