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Es war einmal ein Fuchs, der eine Zeitlang den Löwen nicht gesehen hatte. Er ging vorsichtig in dessen Höhle. Dort sah er den Löwen abgemagert und deprimiert.

Der Fuchs wagte, mit dem Löwen zu reden und sagte: ‚Guten Morgen, Majestät. Ich habe dich lange Zeit nicht gesehen. Geht es dir nicht gut?‘ Der Löwe antwortete: ‚Nein. Ich wurde von einem Elefanten verwundet, den ich angegriffen habe. Ich kann nicht auf die Jagd gehen. Ich habe eine ganze Woche lang nichts gegessen.‘ Da sagte der Fuchs: ‚Ich auch nicht. Könntest du ein Tier töten, wenn ich es hierher brächte?‘ Der Löwe antwortete: ‚Gewiss. Aber welches Tier würde es riskieren, hierher zu kommen?‘ Der Fuchs meinte: ‚Überlasse das mir. Ich bringe ein Tier hierher. Wenn es nah bei dir ist, dann fang‘ es.‘ ‚Darauf bin ich gespannt‘, sagte der Löwe, ‚ich werde meinen Teil der Abmachung erfüllen.‘

Der Fuchs ging also in die Nachbarschaft zur anderen Seite des Waldes. Dort wohnte ein Esel. Der Fuchs sagte: ‚Guten Morgen, lieber Esel. Wie geht es dir?‘ Der Esel antwortete: ‚Schlecht, wie immer. Ich muss schwere Lasten tragen, den ganzen Tag.‘ Da sprach der Fuchs: ‚Warum bleibst du hier? Komm mit nach drüben! Da gibt es drei Eselinnen, die auf einen Freund warten.‘ Der Esel sagte: ‚Nein, leider kann ich nicht … aber hast du ‚Eselinnen‘ gesagt? Ich komme sofort!‘

Der Fuchs und der Esel gingen in freudiger Erwartung zu dem Löwen. Als der Esel in die Nähe des Löwen kam, setzte dieser zum Sprung an … – doch: Der Esel hatte den Löwen vorher gesehen und war voller Schreck davongelaufen, so schnell ihn seine Füße trugen. Der Löwe aber landete auf seinem Bauch.

Da sprach der Fuchs vorwurfsvoll: ‚Majestät, ich habe den Esel hierher gebracht und du konntest ihn nicht fangen!‘ Verzweifelt sprach der Löwe: ‚Entschuldigung, ich war etwas zu ungeduldig. Ich bin zu früh gesprungen!‘ Da sagte der Fuchs versöhnlich: ‚Ich bringe den Esel noch einmal her. Aber dieses Mal musst du ihn fangen.‘ Der Löwe sagte verwundert: ‚Aber sicher kommt der Esel kein zweites Mal.‘ Der Fuchs sprach: ‚Er wird kommen! Worauf du dich verlassen kannst! Doch du musst ihn dieses Mal fangen!‘ Der Löwe sagte: ‚Versprochen. Ich werde ihn bestimmt fangen!‘

Da ging der Fuchs erneut zum Esel. Dieser sagte: ‚Von wegen Eselinnen! Du hast mich zum Löwen gebracht.‘ Der Fuchs antwortete: ‚Löwe? Aber das waren doch die Eselinnen!‘ Der Esel sagte empört: ‚Ich habe einen Löwen gesehen. Das ist Realität!‘ Und der Fuchs antwortete: ‚Deine Realität! Es gibt mehr als eine Realität. Der Löwe ist eine Illusion. Deine Sinnesorgane sind unzuverlässig. Die drei Eselinnen waren so sehr in dich verliebt, dass sie aufsprangen, um dich zu umarmen. Es sind sehr leidenschaftliche Eselinnen! Und nun sind sie enttäuscht, dass du sie verlassen hast. Sie denken, du lehnst sie ab!‘ Der Esel überlegte: ‚Na, wenn das so ist! Ohh, die Armen! Ich bin ein liebevoller Esel, ich kann es nicht ertragen, wenn jemand leidet. Ich komme mit. Ich kann es kaum erwarten, sie glücklich zu machen.‘

Also gingen der Fuchs und der Esel wieder zum Löwen. Der Löwe brüllte ekstatisch vor Hunger und Vorfreude. Der Esel hörte das Brüllen und lief terrorisiert davon. Da sagte der Fuchs zum Löwen: ‚Majestät, du kannst nicht einmal einen Esel fangen, der direkt hierher zu dir kommt. Ich frage mich, wie du es gewagt hattet, einen Elefanten anzugreifen. Warum hast du denn überhaupt so gebrüllt?‘ Der Löwe sagte: ‚Ah, das war nur eine Konditionierung, eine alte Gewohnheit. Es tut mir leid, aber bringe mir ein anderes Tier und ich sage dir, mein treuer Knecht, ich werde dich dieses Mal nicht enttäuschen.‘ Der Fuchs sagte geduldig: ‚Gut. Ich bringe den Esel wieder.‘ Der Löwe war erstaunt und fragte: ‚Den Esel? Ein drittes Mal kommt er sicher nicht.‘ Der Fuchs sagte: ‚Ich bin sicher, dass er kommen wird!‘

Der Fuchs ging erneut zum Esel und fragte ihn: ‚Warum bist du denn weggelaufen?‘ Der Esel sagte: ‚Das fragst du mich? Das war ein Löwe! Ich habe sein Brüllen gehört und gesehen habe ich ihn auch! Nie und nimmer gehe ich noch einmal dorthin.‘ Der Fuchs sagte freundlich: ‚Löwe? Du weißt, unsere Sinnesorgane sind unzuverlässig. Was du gehört hast, war das Liebesschreien der Eselsdamen. Komm zu ihnen!‘

Esel: ‚Nein, ich bleibe hier!‘

Fuchs: ‚Die Damen können nicht leben ohne dich.‘

Esel: ‚Wirklich? Trotzdem bin ich nicht sicher, dass es kein Löwe war.‘

Fuchs: ‚Wenn man total verliebt ist, kann man spinnen und fantasieren. Du würdest nichts lieber tun, als die drei Eselinnen zu deinen Frauen zu machen, du alter Casanova, stimmt’s?‘

Esel: ‚Stimmt. Aber ich habe Bedenken.‘

Fuchs: ‚Wenn es ein Löwe wäre, würde dann ich selbst dort hin gegangen sein?‘

Esel: ‚Nein, denn du bist schlau – … wie ich auch. Aber trotzdem …‘

Fuchs: ‚Diese Chance würde ich nicht verpassen. Welcher Esel hat schon drei Gespielinnen auf einmal für sich ganz alleine? Die Eselinnen wollen nur dich. Sie haben vor, solange zu fasten, bis du kommst. Komm mit, und wisse, ich bin bei dir! Komm, … bevor ein anderer Esel …‘

Esel: ‚Ich habe letztes Mal einen solchen Schrecken bekommen!‘

Fuchs: ‚Welchen Schreck? Lebe im Hier und Jetzt! Du weißt, jede Situation ist neu zu betrachten, ohne Zusammenhang zu vorherigen Situationen.‘

Esel: ‚Meinst du wirklich? Ich habe aber Angst. Was, wenn der Löwe noch einmal auftaucht?‘

Fuchs: ‚Möchtest du in Angst leben? Überwinde sie! Ich habe dir immer wieder gesagt, dass das kein Löwe war. Jetzt komm!‘

Esel: ‚Ich brauche noch Zeit. Ich muss mich erst ein wenig zurückziehen.‘

Fuchs: ‚Nicht lange überlegen. Denke nicht an die Folgen. Handle jetzt. Jetzt ist die Zeit!‘

Esel: ‚Aber es hat zweimal nicht geklappt.‘

Fuchs: ‚Lebe im Hier und Jetzt, habe ich gesagt. Und wenn es nicht klappt, bleib am Ball der Gefühle. Versuche nicht, deinen Verstand einzuschalten und nach Ursachen zu fragen.‘

Esel: ‚Also meiner Erfahrung zufolge kann ich schlussfolgern …‘

Fuchs: ‚Du bist naiv. Das Leben ist komplex. Du kannst nichts verallgemeinern, das solltest du nicht tun. Lebe im Hier und Jetzt. Komm, was soll‘s?‘

Esel: ‚Also gut, aber ich komme erst morgen.‘

Fuchs: ‚Mein lieber Freund! Dieses gegenseitige Misstrauen ist wirklich schlecht. Du willst doch Liebe und Frieden haben, nicht wahr?‘

Esel: ‚Ja klar, wer will nicht in Liebe und Frieden leben?‘

Fuchs: ‚Dann musst du dein Misstrauen gegen die Eselinnen abbauen. Sonst werden sie ebenfalls misstrauisch werden. Diese Welt braucht Liebe und Frieden. Aber gut, wenn du misstrauisch bist …‘

Esel: ‚Ich bin nicht misstrauisch, aber kann ich nicht erst heute Abend gehen?‘

Fuchs: ‚Natürlich kannst du heute Abend gehen, oder von mir aus auch nächsten Monat. Mir ist das schließlich egal. Doch wenn ein anderer Esel sich die Eselinnen mittlerweile schnappt, kann ich dir auch nicht mehr helfen.‘

Esel: ‚Wenn sie mich aber lieben – wie du sagst, – dann werden sie sicherlich auf mich warten, oder?‘

Fuchs: ‚Ääh, natürlich. Aber warum willst du warten?‘

Esel: ‚Was, wenn der Löwe noch einmal kommt?‘

Fuchs: ‚Die Sinnesorgane täuschten dich. In der Wüste sieht man Wasser, aber es ist eine Illusion!‘

Esel: ‚Wir sind hier aber nicht in der Wüste.‘

Fuchs: ‚Egal. Die Sinnesorgane täuschen grundsätzlich. Die Ausnahmen sind die Regel. Morgen sagst du gar, dass zwei und zwei vier sind!‘

Esel: ‚Wieviel ist es denn dann, wenn nicht vier?‘

Fuchs: ‚Das weiß ich nicht. Niemand kann das wissen. Nichts kann mit Gewissheit gewusst werden.‘

Esel: ‚Ich war so gewiss, dass es ein Löwe war.‘

Fuchs: ‚Hör auf, immer deinen Verstand zu benutzen. Orientiere dich an deinen Gefühlen. Sie sagen dir, was richtig ist.‘

Esel: ‚Meine Gefühle sagen, dass ich Angst habe.‘

Fuchs: ‚Nein, die Gefühle der Liebe meine ich. Die Gefühle der Liebe, die du erleben willst. Wie würdest du dich fühlen, wenn du die Eselinnen besitzen würdest? Diese Erfahrung musst du machen, das sind Erfahrungen von Liebe und Frieden und Freiheit!‘

Esel: ‚Liebe, Frieden und Freiheit! Das ist es, was ich will!‘

Fuchs: ‚Dann komm sofort, bevor die Drei in ihrer Verzweiflung zu einem anderen Esel gehen. Übrigens habe ich vergessen, dir zu erzählen, dass die eine Eselin Miss Universum ist, die zweite ist Miss World, und die dritte ……! Ahhh, sie ist Miss Galaxy! … Doch, wenn du diese drei Weltschönheiten nicht haben willst, dann gehe ich jetzt endgültig und suche einen anderen Esel für die Drei! Und tschüss!‘

Esel: ‚Nein, nein, warte. Ich komme ja mit. Wow! Miss Universum und ….., alle für mich!‘

Fuchs: ‚Jetzt bist du vernünftig. Amor omia vincit.‘

Esel: ‚Vernünftig? Aber vorhin hast du doch gesagt, ich solle meinen Verstand nicht benutzen!‘

Fuchs: ‚Was ich vorhin gesagt habe, ist Urgeschichte. Was ich jetzt sage, ist aktuell. Komm jetzt!‘

Esel: ‚Du hast mich ja überzeugt, dennoch geht mir der Löwe nicht aus dem Kopf.‘

Fuchs: ‚Du erschaffst deine eigene Realität. Wenn du denkst, die Eselinnen sind Löwen, dann sind sie es.‘

Esel: ‚Aber beim ersten und zweiten Mal hatte ich doch an die Eselinnen gedacht, nicht etwa an einen Löwen.‘

Fuchs: ‚Trotzdem, die Tatsachen zählen nicht. Die Welt ist, was du denkst. Das ist das Prinzip.‘

Esel: ‚Aber jetzt bist du naiv. Die Welt ist komplex, wie du selbst gesagt hast!‘

Fuchs: ‚Ich? Naiv? Ich bin ein Fuchs, wie du weißt. Und jetzt denke an die Eselinnen. Komm, was soll’s?

Esel: ‚Gut, ich komme, doch mein Zweifel bleibt bestehen.‘

Fuchs: ‚Dein Misstrauen musst du jetzt aber endlich abbauen. Selbst wenn es der Löwe wäre, führe einen Dialog mit ihm! Zeige ihm, dass du ihm vertraust, und er wird dein Vertrauen erwidern.‘

Esel: ‚Mit einem Löwen werde ich nie reden!‘

Fuchs: ‚Wie können wir Liebe und Frieden und Freiheit verbreiten, wenn du so stur bist. Sei kein Extremist! Mache einen Kompromiss! Wenn du nicht bereit bist, den ganzen Weg zu gehen, dann gehe den halben Weg, und der Löwe … – ich meine, die Eselinnen -, kommen den anderen halben Weg entgegen. Das wird für dich eine Überraschung sein.‘

Esel: ‚Schön, aber bist du ganz sicher?‘

Fuchs: ‚Deine Angst kann ich verstehen. Ich würde auch Panik haben, wenn ich glauben würde, ich sähe einen Löwen. Aber, eine Frage: Bist du bereit, etwas für Liebe, Frieden und Freiheit zu tun? Und auch für …- ähh, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit?‘

Esel: ‚Natürlich. Das weißt du ganz genau.‘

Fuchs: ‚Pass auf! Du hattest drei Eselinnen erwartet und glaubtest in deinem Wahnsinn und in deinen Halluzinationen, dass du einen Löwen gesehen hast, stimmt’s?‘

Esel: ‚Ja.‘

Fuchs: ‚Jetzt tue Folgendes: Erwarte einen Löwen, dann siehst du ganz angenehm beglückt die drei Eselinnen in der Realität.‘

Esel: ‚Jetzt hast du mich völlig überzeugt. Das war eine völlig logische Argumentationskette. Ich komme mit. Sonst, was soll’s?‘

Der Fuchs und der Esel gingen zu dem Löwen. Der Löwe griff den Esel an und tötete ihn.


cropped-20170604_192551.jpgaus dem Buch „Hallo Frieden“
https://pedrodesouza.blog/hallofrieden/

Dieser Fuchs hat gute Werte als Manipulation benutzt, um den Esel hereinzulegen und ihm zu schaden. Er hat dessen tiefste Sehnsüchte erkannt und ihn psychologisch ausgetrickst. Er hat richtige Aussagen in einen falschen Zusammenhang gestellt und den Esel dadurch verwirrt. Genau so listig hat er Wahres und Falsches gemixt, so dass der Esel völlig desorientiert wurde. Letztendlich hat er eine scheinlogische Kette geschmiedet, deren Glieder nicht aus stabilem Stahl, sondern aus Baiserteig waren – süß, doch kraftlos -, und der Esel hat nichts gemerkt.